Kirchgemeindenachrichten Oktober 1985

"Gedenkt eurer Lehrer!" Diese Aufforderung der Heiligen Schrift soll Anlaß sein, im Oktoberheft unserer Informationen an Pfarrer Johannes Handrick zu gedenken. Am 2. Oktober 1860 wurde er als Kind armer sorbischer Eltern in Kubschütz geboren. Sein Vater hatte seinen Besitz durch Brandschaden zu einem erheblichen Teil verloren. Mit 16 Jahren besuchte er zusammen mit seinem Bruder die deutsche Bürgerschule in Bautzen, um die deutsche Sprache zu erlernen. In der kalten Jahreszeit liefen die beiden Brüder in einen großen Mantel gehüllt, bei dem der eine jeweils den linken und der andere den rechten Ärmel benutzen konnte, im Gleichschritt nach Bautzen.
Nach Ablegung des Abiturs in Bautzen ging er zum Studium der Medizin und Theologie nach Leipzig. Bald widmete er sich ausschließlich theologischen Studien. In Leipzig war er Mitglied der Studentenverbindung "Sorabia". Nach Beendigung des Studiums kam er in die Heimat zurück und wurde 1887 Diaconus (2. Pfarrer) an der Michaeliskirche zu Bautzen. Sein Anstellungsvertrag mit dem Rat der Stadt, der ihn besonders zur wendischen Predigt und Seelsorge verpflichtete, ist noch erhalten.


Nach dieser Tätigkeit ging er als Pfarrer 1889 nach Milkel. Dort verlebte er mit seiner ersten Frau eine sehr glückliche Zeit. Zwei Kinder gingen aus der Ehe hervor. Es wurde von unserer Gaußiger Gemeinde sehr mitempfunden, als er 1891 nach Gaußig kam und seine Frau in einem Sarg mitbrachte. Er heiratete ein zweites Mal und hatte mit der wesentlich jüngeren Frau vier Kinder.( Dabei der Sohn Georg, später über 50 Jahre Pfarrer von Neukirch)
Mit besonderer Hingabe kümmerte er sich um die Erziehung der Jugend und um die Besserung der schulischen Verhältnisse in Gaußig. Der Ort der jetzigen Schule war bis zum Jahre 1899 ein Feld der Pfarrei. Als sein Plan bekannt wurde, auf diesem eine Schule zu errichten, bestellte ihn die damalige Gräfin von Schall-Riaucour ins Schloß. Sie fand es unpassend, in der Nähe ihres Stammsitzes eine "Lärmbude" zu eröffnen, weil sie die Ruhe der Terrasse erheblich gefährdet sah. Aber da der vorgesehene Platz der denkbar günstigste war, ließ sich Pfarrer Handrick nicht umstimmen. "Dann soll er eben seinen Schafstall bauen", meinte die Gräfin. Mit diesem Ausspruch war der Besuch des Pfarrers im Schloß beendet. Doch haben sich im Laufe der Zeit beide Nachbarn gut aneinander gewöhnen können. 1912 ließ Pfarrer Handrick den Kirchturm reparieren und legte dabei im Turmknauf Urkunden nieder.
Bei Besuchen des Königs von Sachsen in Gaußig wurde Pfarrer Handrick regelmäßig in das Schloß eingeladen. Ein solches Ereignis erfüllte besonders seine Kinder mit Freude, die ihrem so geehrten Vater mit Operngläsern nachsahen. Vielen älteren Gaußigern, die bei ihm noch Konfirmandenunterricht hatten, ist er als sehr strenger Herr in guter Erinnerung. Verstößen im Unterricht gegen das richtige Verhalten trat er mit Härte entgegen.

 

Mit großem Einsatz versuchte er unsere Gemeinde geistig zu versorgen - in einer Zeit, in der Umbrüche und Revolutionen die Menschen verwirrten und entzweiten. Pfarrer Handrick war damit derjenige Pfarrer, dessen Leben 1860 in dem von sorbischer Bevölkerung geprägten Landkreis Budissin begann und der dann unsere Gemeinde seelsorglich durch die Zeiten des ersten Weltkrieges und der Nachkriegsjahre führte. Er erlebte auch die erste Beschlagnahme der Glocken. Auf dem Kirchplatz ließ er das Kriegerdenkmal errichten. 1927 ging er in den Ruhestand. Ein großer Schmerz war es in seinem Leben gewesen, als man ihn als einen Repräsentanten früherer Ordnung aus der Schule wies. Aus manchen Gründen mag er verbittert und enttäuscht gewesen sein. 1916 verstarb seine zweite Frau an einem Hirnschlag. Dann nahm ihm der Tod seinen Sohn Martin durch Diphtherie. Von einem Kuraufenthalt wurde er damals zu seinem sterbenden Kind gerufen. Wegen großer finanzieller Schwierigkeiten blieb die Gaußiger Gemeinde nach seinem Ausscheiden längere Zeit vakant. Von seinem Ruhestandssitz in Bautzen aus hat aber Pfarrer Handrick sehr viele Vertretungen gehalten. In der Zeit der Herrschaft der Nationalsozialisten nahm er gegen deren Kirchenpolitik Stellung. Er erlebte noch die Kämpfe um Bautzen und starb 1946, nachdem er durch Pfarrer Wirth das Heilige Abendmahl empfangen hatte. Es wird wohl nie wieder eine Generation geben, die soviel an Umbrüchen und Veränderungen erlebt hat wie die seine. Vom Markgrafentum Oberlausitz, das in vielen Dingen noch mit der Krone der Habsburger verbunden war, ging sein Lebensweg bis hinein in die Zeit der sowjetischen Besatzungszone. Vieles mußte er sicher auch in seinem Denken revidieren, aber das eine stand für ihn zeitlebens fest: Einen anderen Grund kann niemand legen außer den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Hebräer 13,7:
Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.


Pfr. Gerd Frey