Kirchgemeindenachrichten Oktober 1994


Zum Kirchweihsonntag




Am 26. Oktober 1874 wurde unsere Kirche in ihrer heutigen Gestalt eingeweiht. Zum 120. Kirchweihfest, das wir wie jedes Jahr am Sonntag nach dem 20. Oktober feiern, lade ich ganz herzlich ein. Das Titelbild zeigt den Altarraum zum Kirchweihfest 1974. Am Lesepult steht Pfarrer Bauer, der die damalige Renovierung unserer Kirche leitete. Pfarrer Dr. Kilank, Pfarrer Wendt, Schmölln und der Gaußiger Pfarrersohn Georg Handrick, Neukirch, haben im Altarraum Platz genommen.
Das Haus Gottes ist geheiligt durch Danksagung und Gebet, weil es ein Zeichen der Liebe ist von Menschen, die die Liebe Gottes unter seinem Wort und Sakrament erfahren haben. Die Kirchen der Heimat sind daher die wichtigsten Orte der Geschichte und der Kultur in unserem Land, die von Anfang an bis heute ihre Funktion behalten haben. Im Anschluß an den Kirchweihgottesdienst ist die Gemeinde eingeladen zu Kaffee und Kirmeskuchen im Gemeindehaus.

(Auf dem Foto beim Gang zum Friedhof v. l. Bauer, Kilank, Handrick, Wendt; ganz rechts Kirchenvorstand Walter Pietsch, Gnaschwitz)


Der tragische Tod des Schmeckwitzer Pfarrers Bauer

(ehem. Gaußig)

Nach einem Beitrag des Crostwitzer Pfarrers im Kirchenblatt der katholischen Sorben

Am Dienstag, den 30. August abends warteten die katholischen Kirchgänger vergebens vor der evangelischen Kapelle, um einen Wochengottesdienst abzuhalten. Aber Kapelle und Pfarrhaus waren verschlossen. Schließlich beteten die Anwesenden vor dem Gotteshaus einen Rosenkranz und gingen nach Hause. Dieses Vorkommnis war aber keine böse Absicht oder eine Oberflächlichkeit. Die Pfarrfamilie war zum Geburtstag gefahren. Pfarrer Bauer jedoch blieb zu Hause, was für ihn nicht ungewöhnlich war. Er ging an diesem Nachmittag in seine Kirche, verschloß sie und nahm sich im Glockenturm das Leben. Der Grund dafür ist wohl darin zu finden, daß in den Stasi-Unterlagen Pfarrer Bauer als IM geführt wurde. Beim Verteilen antistaatlicher Flugblätter sei er verhaftet und gezwungen worden, für die Sicherheitsorgane des Staates zu arbeiten. An den Bedrückungen, die sich für ihn aus diesen Verhältnissen ergaben, hat Pfarrer Bauer unsäglich gelitten. Aufgrund seiner Sensibilität und seines labilen psychischen Zustandes konnte er das nicht ertragen. Obwohl der Kirchenvorstand von Schmeckwitz sich für Pfarrer Bauer einsetzte, verbot die Kirchenleitung bis zur Beendigung der Ermittlungen den Pfarrdienst. Damit wurde Pfarrer Bauer, der diese Probleme nicht mehr bewältigen konnte, zu einem Opfer aus den Verstrickungen seiner Seele und seiner Biographie.
Am Sonnabend, dem 3. September hatten sich zum Begräbnis in Schmeckwitz viele evangelische und katholische Christen versammelt. 52-jährig hinterläßt er eine Ehefrau, die ihm 22 Jahre lang treu geholfen hat beim Religionsunterricht, bei der Betreuung von Behinderten und russischen Aussiedlern, sowie 3 Kinder: einen 18-jährigen Sohn und zwei jüngere Töchter. Superintendent i.R. Schlage aus Kamenz hob die Betroffenheit, die dieser Tod auslöste, in seiner Predigt hervor. Landesbischof Kreß sprach am Grabe davon, daß in Gottes Lebensbuch bestimmt eine andere Beurteilung stehen wird als in den Akten des vergangenen Systems. Pfarrer Salowski, der sich gemeinsam mit Kaplan Delan von Seiten der Crostwitzer Geistlichen beteiligte, betete am Grab mit den Worten des 27. Psalms:
Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich.
(übertragen aus dem Sorbischen von Manja Kieschnick)

  Januar 1995:
Wer da denkt, daß er stehe, sehe zu, daß er nicht falle!

In einer Kaufhalle bemerkte ich eine Zeitung mit einer gewaltigen Schlagzeile:
"Pfarrer erhängt, im Kirchturm".
Nachdem Pfarrer Bauer über ein viertel Jahr begraben ist, hat sich die Presse seiner Person angenommen. Der Artikel entsprach durchaus der üblichen journalistischen Berichterstattung. Daß "die Kirche" den tragischen Tod verschwiegen hätte, ist bei diesem öffentlichen Vorfall nicht möglich. Neu war der Hinweis auf eine Flasche Sekt, die als Erpressungsmittel gegenüber Pfarrer Bauer gebraucht wurde. Der Anlaß scheint doch zu gering und die Möglichkeiten, die Verfehlung eines Studenten am theologischen Seminar in Leipzig zu klären, waren durchaus gegeben. Wie dem auch sei, die Verstrickungen, die zum Alltag der DDR gehörten, sind nicht nur Dinge unserer Vergangenheit, sondern sie beginnen sich wieder neu, in anderer Gestalt und mit anderen Vorzeichen, auszuwirken. Die Mühe um Klärung dieser Angelegenheiten darf nicht nachlassen. Und alles Gerede von Schlußstrichen und Aufhören dient der Verdrängung eines der höchsten Güter, die wir Menschen kennen, der Wahrheit. Es ist wie ein Ratschlag aus der Hölle. Machtmißbrauch, das erpresserische Quälen von Menschen und die Strukturen von kriminellen Möglichkeiten in den politischen Systemen sowie die Bereitschaft, an ideologischen Verblendungen teilzunehmen, muß öffentlich gemacht werden, denn sonst ist uns Sündenerkenntnis erschwert.
Dieses ganzeThema kann letztlich uns alle in Demut und Bescheidenheit unter die Hand Gottes beugen, der seinen Sohn in die Finsternis der Welt gesandt hat.

Pfr. Gerd Frey