Kirchgemeindenachrichten April/Mai 1995


Das Kriegsende in unserer Gemeinde

In diesen Tagen wird viel an das Kriegsende vor 50 Jahren gedacht. Das Territorium unserer Kirchgemeinde wurde im April 1945 von den letzten Ausläufern der Kampfhandlungen erreicht. Durch den letzten geordneten deutschen Gegenangriff spitzte sich im April die Lage um Bautzen zu.
Am 16./17. April gingen viele Einwohner unserer Kirchgemeinde auf die Flucht. Von Gnaschwitz aus sollte die Flucht in Richtung Westen gehen. Im Naundorfer Wald aber wurden die Flüchtlinge von russischen Soldaten überrascht und zum Teil ausgeplündert. Die Not dieser Verhältnisse kam auch darin zum Ausdruck, daß im Naundorfer Wald ein Kind geboren wurde.
Am 20. April begann der Angriff auf Bautzen. Alle Spreebrücken, auch die in Schlungwitz, wurden gesprengt. Generalfeldmarschall Schörner hatte bei den letzten Kämpfen in der Oberlausitz vorübergehend seinen Stab in Weißnaußlitz, im Gut von Walter Held. Durch einen erfolgreichen deutschen Gegenangriff mußten am 25. April die russischen Truppen vorübergehend die Stadt verlassen. Die Reste der Elitedivision "Hermann Göring" wurden per Bahn nach Großpostwitz gebracht und kamen über Obergurig, Schlungwitz nach Gnaschwitz. Dadurch wurde Gnaschwitz dem Angriff von Tieffliegern ausgesetzt. Im Ort Gnaschwitz war zwischen dem Gasthof und dem Hof der Familie Tuma eine Panzersperre errichtet.
Da die ersten Bauern wieder zurückkehrten, gab es unter ihnen durch einen Tieffliegerangriff ein Opfer. Der Landwirt Ernst Säring, der hinter seinem Pferdegespann herlief, erlebte noch, wie seine Pferde durch Bombenabwürfe zwischen Gnaschwitz und Techritz scheu wurden und durchgingen. Auf dem Weg zu seinem Hof wurde er von Tieffliegern tödlich getroffen. Dies geschah am 25. April gegen 17.30 Uhr.
Laut Kirchenbuch gab es damals in der Gemeinde folgende Situation: Am 18. März wurden zwei und am 4. April ein englischer Kriegsgefangener bei Drauschkowitz erschossen und auf unserem Friedhof beigesetzt. Diese drei Engländer wurden nach Kriegsende in Gaußig exhumiert und auf einem Ehrenhain der englischen Armee beigesetzt. In Naundorf wurde am Kriegerdenkmal durch den Oberlehrer Hensel eine Frau beerdigt, die sich am 21. April aus Verzweiflung das Leben genommen hatte.
Am 22. April 13.00 Uhr wurde durch Beschuß im Alter von acht Jahren an der Wassernot Gottfried Paul Matthes tödlich getroffen.
In Medewitz wurde am 24. April der Landwirt Franziskus Weiser von Angehörigen der sogenannten Wlassow-Armee (Russen, die auf deutscher Seite kämpften), die ihn verkannten, erschossen.

 

Bei den Kampfhandlungen um Göda erhielt am 25. April der Jagdpanzer 1389 einen Volltreffer. Dazu steht folgende Bemerkung im Gaußiger Kirchenbuch: "Die Toten kamen im Panzer auf das Rittergut Gaußig und wurden von dort auf den Friedhof gebracht. Durch einen Feldwebel wurde die Bestattung vorgenommen. Derselbe hielt eine kurze Ansprache, das Kameradenlied wurde gesungen und das Vater-unser gebetet."
Am 21. April fiel in Bautzen der Volkssturmmann Friedrich Karl Otto Schütz aus Naundorf. Der Tote wurde jedoch von Bautzen auf unseren Friedhof gebracht und am 29. April beigesetzt.
Die Monate April und Mai waren trotz eines prächtigen Frühlings die schlimmsten Zeiten, die in unserer Kirchgemeinde seit dem Ende des 30jährigen Krieges durchlebt werden mußten. Aber verglichen mit der grauenhaften Zerstörung großer deutscher Siedlungsgebiete im Osten war es einer der letzten Ausläufer des Krieges, der die Parochie Gaußig erreichte. Obwohl Bautzen von den Russen erst am 08. Mai besetzt wurde, war russisches Militär am 05. Mai in Naundorf. Frau Frieda Gentsch, geb. Domschke, deren Mann 1943 gefallen war, wurde an diesem Tag erschossen und in ihrem Gartengrundstück beigesetzt. Die Verhältnisse waren so unsicher, daß die Verstorbenen nicht mehr zum Friedhof gebracht werden konnten und auch der Pfarrer nicht mehr in die Dörfer kam. An diesem Tage wurden auf unserem Friedhof zwei Polen unbekannter Herkunft beigesetzt. Am 08. Mai wurde der Leichnam eines Rentners aus Singwitz auf der Flur Dretschen entdeckt, der sich dort vermutlich das Leben genommen hatte. Am 09. Mai wurde in seinem Hof in Weißnaußlitz Ernst Emil Held erschossen "von feindlichen Soldaten". Er sollte einen Traktor wieder in Gang setzen. Der 82jährige war dazu aber nicht imstande.
An diesem Tag wurden am Kleebusch sechs Tote, alles Einwohner aus Bautzen entdeckt. Fünf von ihnen trugen den Familiennamen Thomas, darunter ein 2-jähriges Kind. Nachdem polnische Soldaten die 64-jährige Großmutter erschossen hatten, gaben die andern ihr Leben auf. Ebenfalls am 09. Mai wurde bei Gnaschwitz ein junger Soldat tot aufgefunden, und in Weißnaußlitz erschossen die Polen eine deutschstämmige Flüchtlingsfrau aus Polen. Am 12. Mai wurden 4.15 Uhr am Morgen in Gnaschwitz der Bauer Martin Held, der Finanzbeamte Richard Michel und der Maschinenbauer Hermann Lehmann von Polen erschossen. Ihre Beisetzung auf dem Gnaschwitzer Friedhof erfolgte ohne Hinzuziehung des Pfarrers. Das letzte aus den Gaußiger Kirchenbüchern zu belegende Todesopfer war Frau Martha Emma Thräne, Gastwirtsehefrau in Spittwitz. Sie wurde im 52. Lebensjahr am 27. Mai durch Russen erschossen. War mit dem 8. Mai auch eine Erleichterung über das Ende des Krieges eingetreten, so begann für Hunderttausende im Osten der Weg in Gefangenschaft, Verbannung und Vertreibung.
Wenn jetzt in Schlungwitz ein Aussiedlerheim betrieben wird, so ist dies als einer der letzten direkten Ausläufer dieses Zusammenbruchs anzusehen.


Pfr. Gerd Frey