Kirchgemeindenachrichten August 1986


200 Jahre Kirchturm Gaußig




Kirchturm2011
Urkunde aus dem Turmknopf:

"Im Jahre 1786 am 10ten des August Monaths ist der Knopf auf den, im Jahre 1784 zu bauen angefangenen Kirchen Thurm alhier, aufgesetzet worden. Wegen Erbauung dieses neuen Thurmes sind besondere, im Gausiger Archive befindliche Acta ergangen. Leider hat man in dem Knopfe des alten Thurmes gar keine Nachrichten verzeichnet aufgefunden, man will also dermahlen folgendes vor die Nachkommenschaft bemerken. Als römischer Kaiser regieret itzt der Allerdurchlauchtigste Joseph: M. Erzherzog zu Oesterreich, und unsere zur Zeit, der Handlung und dem Gewerbe nach, noch ziemlich beglückte Oberlausitz, wird von dem geliebtesten Churfürst zu Sachsen, den Durchlauchtigsten Friedrich August beherrscht.

In Deutschland, ja in gantz Europa, waltet dermahlen eine stille Friedens Ruhe vor, und wenn auch Preußens großer Monarch seine hohen Lebens Jahre, nach den eingehenden Nachrichten, bald beschlüßen solte, so ist doch, wegen des großen Fürsten Vereins, zwischen Sachsen, Brandenburg und Hannover, welchem Chur Mainz, auch Hessen und verschiedene andere Reichs Fürsten bereits beygetreten, von dieser Friedens Ruhe nichts zu befürchten.

Die Gerichtsherrschaft dieses Ortes ist Ihro Excellenz der Hochgebohrene Herr Herr Andreas Reichs Graf von Riaucour, Churfürstl. Sächs. Conferenz Minister, auch Gesandter am Pfalz-Bayrischen Hofe, der außer verschiedenen Pohlnischen und Reichs Güthern, die gantzen Gausiger Güther ferner Putzkau, Crostau, Guttau, Malschwitz, Gleina und Brösa besitzt, und dessen älteste Frau Tochter, Ihro Excellenz Frau Henriette Gräfin von Schall, Gemahlin Ihro Excellenz Herrn Carl Grafens von Schall, auch Besitzer der Güther Lockwitz bey Dresden, und dermahligen Churpfälzischen Gesandten am Dresdner Hofe, ist die erste Nachfolgerin in seinen sämtlichen zum Majorate ernannten Güthern. Der Gerichtsdirektor der Güther Gausig ist Subscriptor. Der Pfarrer alhier, Herr Gottlob Ehrenfried Noack, der Schulmeister Gotthold Leberecht Michalck, die Kirchväter George Beyer aus Günthersdorf, und Christian Pietsch aus Diehmen. Den Thurm selbst hat Meister Johann Gottlob Staude, Maurer Meister in Budissin erbauet, und ohnentgeldlich verrichtet, so belaufen sich gleich wohl besage, derer Kirche Rechnung, die Unkosten nahe auf 2200 Thaler.

Von dermahliger Churfürstl. Sächsischer nach dem Conventions Fuß ausgeprägter Landes Müntze hat man alhier einige Stücke beygelegt. Wie dermahlen die Frucht-Prozesse im Lande stehen? besaget mit beygelegtes Budissinsches Wochenblatt. Der eifrigste Wunsch, so wie im allhemeinen, also auch bey hiesiger Kirchfahrt geht itzt dahin, daß der Höchste unseren Durchlauchtigsten und gnädigsten Landesherrn mit männlichen Befindens segne, hiesige Hochgräfliche Gerichts Herrschaft bey langem Leben und der besten Gesundheit erhalte, das Hochgräflich Schallische Haus nebst beyder Comteßen Töchtern in dem vorzüglichen Wohlseyn fortgehen lasse und, was die Erfüllung aller Wünsche seyn möge, mit einem Stammhalter gnädiglich erfreuen möge. Gausig, den Zehenden August Eintausend Siebenhundert und sechs achtzig. Christian Gothelf Lehmann Churfürstl. Sächs. Commissions Rath."

Gemessen an seiner Größe hatte das Gaußiger Kirchspiel ein kleines Gotteshaus mit einem Dachreiter, in dem die Glocken hingen. Dieser war bei Untersuchungen für stark baufällig erachtet worden. Da unter dem Grafen Keyserling ein neues Pfarrhaus erbaut worden war, wollte der neue Herr von Gaußig, Andreas von Riaucour, Kirche und Ort Gaußig mit einem Turm schmücken. In großzügiger Weise spendete er für Arme und Kranke, aber auch für Kirche und Schule. Die Bauern der Dörfer verpflichteten sich zu Spanndiensten, und so konnte 1783 an den Bau des Kirchturmes gedacht werden. 1784 fand die Grundsteinlegung statt, und 2 Jahre wurde gebaut. Am 10. August 1786 erhielt der Turm den goldenen Knopf, die Wetterfahne und den Stern. Ganz Gaußig nahm daran teil. Der Pfarrer des Ortes war damals Gottlob Ehrenfried Noack. Nach Vollendung des Turmes wurden die alten Glocken aus dem Dachreiter auf ihn übertragen.

 

Bei der alten Urkunde ist zeitgeschichtlich interessant, daß der Tod des Preußenkönigs Friedrich II., der am 1. August erfolgte, in Gaußig neun Tage später noch nicht bekannt war. Die erwähnten Münzen sind bei späteren Turmknopföffnungen wohl entwendet worden. Doch hatte man mit diesem neuen Kirchturm nicht immer Glück. Am 5. Mai 1794 riß ein Sturm die Turmhaube herab, die zum Glück auf den Friedhof und nicht auf das Kirchdach fiel. Die Handwerker wurden verhaftet, und am 12. Mai 1794 wurde der Turmschaden durch gerichtlich bestellte Handwerker untersucht. Diese stellten fest, daß keine Verankerungen eingebaut worden waren. Am 3. Juni 1794 wurden der Zimmermeister Johann Christian Kühn und der Maurermeister Staude als Hauptverantwortliche unter Eid gefragt, warum die Verankerung unterblieben sei. Kühn sagte aus, daß Meister Staude durch das Einbauen der Anker 18 Taler hätte mehr ausgeben müssen. Bis zum Jahre 1804 war dann unser Kirchturm mit einem einfachen Dach bedeckt.


Diese heute in der Kirche aufbewahrte Wetterfahne trägt die Jahreszahl 1856. In diesem Jahr wurde sie hergestellt. 1856 bekam Gaußig neue Glocken, und bei dieser Gelegenheit wurde auch der Turm erneuert, über dieser Jahreszahl der Wetterfahne lesen wir noch "1804". Dieses ist die Zahl, die die Wiedererrichung der Turmhaube und das Aufsetzen der damaligen Wetterfahne belegt. Auf der freien Fläche wurde 1874 eine neue Jahreszahl eingeprägt.

Unser Titelbild ist etwa 2 Jahre älter. Es zeigt die alte Kirche kurz vor ihrem Abriß und den Friedhof, den man in diesem Jahre endgültig beseitigte. Es muß ein merkwürdiges Bild gewesen sein, Gaußig ohne Kirche, nur mit einem Kirchturm in der Mitte. Eigentlich sollte auch der Turm völlig neu gebaut werden, und dem Kirchenvorstand wurden verlockende Pläne für die Errichtung eines gewaltigen, neoklassizistischen Kirchturmes unterbreitet. Aber da der Turm noch nicht 100 Jahre alt war und baulich völlig in Ordnung, verschob man die Ausführung dieser Pläne in irgendeine Zukunft. Der Turm wurde 1874 im Zusammenhang mit der Kirchenerneuerung an den Baustil und die Farbgebung des Gotteshauses etwas angepaßt. Ein neues Portal erhielt er, und Grabsteine, die im Vorraum Aufstellung gefunden hatten, wurden verputzt oder als Fundamente verwendet. Der Turmeingang wurde erhöht und mit drei Stufen versehen. 1912 wurde am Turmdach durch die Firma Winter eine größere Reparatur ausgeführt. Turmknopf, Wetterfahne und eine neue Dokumentenkapsel wurden aufgezogen. 1917 wurden die Gaußiger Glocken für Kriegszwecke beschlagnahmt und herabgenommen. Doch waren sie 1921 wieder ersetzt worden.

 

1931 haben einige Gaußiger Bürger die Kirchturmkugel als Zielscheibe benutzt. Auch zwei Söhne des Grafen waren dabei. Auf dessen Kosten wurde dann der Schaden am Turm behoben. - Dreimal täglich wurde geläutet und die Uhr mit der Hand aufgezogen. Sicher hatten die Läutejungen manchen Spaß. Dieser hörte jedoch auf, als eine glimmende Zigarette einem von ihnen aus der Hand fiel und zwischen Bretterdielen verschwand. Arbeiter, deren Dienstbeginn sehr zeitig war, sahen schon das flackernde Feuer im Turm; eine Katastrophe konnte verhindert werden. Erst viel später wurde von der Firma Johannes Lehmann ein elektrisches Glockengeläut installiert.

Im Zusammenhang mit der durch Schwammbefall notwendig gewordenen, letzten Kirchturmerneuerung wurden eine neue Wetterfahne aufgesetzt und Dokumente im Turmknopf neu hinterlegt.

Durch seine Höhe will ein Kirchturm unsere Blicke von der Erde zum Himmel ziehen. Er macht den Ort der Verkündigung von Gottes Wort und der Darreichung der Sakramente in der Landschaft kenntlich. Möge auch unser Kirchturm zur Ehre Gottes erhalten bleiben und uns ein Hinweis sein auf Gottes Reich.
Pfarrer G. Frey





Und im August 1982 war zu lesen:

DIE DOKUMENTENKAPSEL IM TURMKNAUF

Der unbestrittene Höhepunkt einer Turmeinrüstung ist erreicht, wenn der Turmknauf geöffnet oder abgehoben werden kann. Denn in der Kugel, am mittelsten Balken der Dachkonstruktion befestigt, befindet sich die Dokumentenkapsel. Hoch oben, korrigierenden Händen entzogen, werden Zeitdokumente der Generation aufbewahrt, der es zufiel, den Turm zu reparieren. In Gaußig ist dies oft der Fall gewesen. 1804, diese Zahl ist die erste Eintragung an der Wetterfahne, bestand schon der Brauch, Dokumente im Turmknopf einzuschließen. 1856 und 1874 wurde ebenfalls am Turm gebaut und die Dokumentenkapsel geöffnet. Als dann jedoch 1912 wieder schadhafte Stellen ausgebessert wurden und man Wetterfahne und Knauf herunterholte, "mußte die betrübende Wahrnehmung gemacht werden, daß die in früheren Zeiten eingelegten Papiere und Urkunden durch eingedrungene Feuchtigkeit so gut wie ganz zerstört waren". Pfarrer Handrick ließ daraufhin eine neue Kapsel anfertigen. In sie legte er 6 Silbermünzen und 2 Zeitungen, die "Bautzener Nachrichten" und die sorbische Zeitung "Serbske Nowiny". Erhaltene, aber sehr unansehnliche Münzen aus der alten Kapsel, die Älteste von 1628, wurden beigefügt. Von ihm selbst stammt eine sehr ausführliche Urkunde über die kirchlichen und schulischen Verhältnisse sowie die Lebensumstände der Gemeindeglieder. Gaußig hatte damals ein entfaltetes kirchliches Leben: hohen Gottesdienstbesuch und viele Teilnehmer am Heiligen Abendmahl. Doch antikirchliche Strömungen und der Einfluß von Sekten waren schon deutlich spürbar. 1912 machte Gaußig als Dorf einen "schmucken und freundlichen Eindruck". Es gab noch 2 strohgedeckte Häuser. Auch damals fehlte es in der Landwirtschaft an Arbeitskräften, weil die Industrien außerhalb der Parochie (Kirchspiel) bessere Verdienstmöglichkeiten boten; so in Bautzen, den neuen Steinbrüchen in Demitz-Thumitz. Außerdem war die Heimarbeit in der Kunstblumenindustrie weit verbreitet.

 

Der Stil und die Thematik dieser Urkunde muten wehmütig an. Er ahnte die Veränderungen, und er sah auch die kommende Glaubensnot; darum sein Gebetswunsch am Schluß der Urkunde, daß die Gemeinde "zu opferwilligen, treuem Dienst deines heiligen Namens" tüchtig gemacht werde. Das 2. Foto unseres Informationsblattes zeigt die Handschrift des Standesbeamten Hermann Kotte. Er schreibt am 15. Mai 1931, warum erneute Reparatur notwendig wurde. Die Grafensöhne hätten im jugendlichen Übermut die Kugel als Zielscheibe benutzt. Pfarrer Niedner (Pfarrer in Gaußig von 1928 bis 1945) legte nun ebenfalls eine Urkunde bei. Sie zu lesen ist fast erschreckend. In der Zwischenzeit war der erste Weltkrieg und hat auch aus unserer Gemeinde sehr viele junge Männer umkommen lassen. So berichtet er vom Bau der Kriegerdenkmäler in den Dörfern der Parochie. 1922 und 1926 sind unter großen Opfern die Glocken und Orgelpfeifen, welche zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurden, wieder beschafft. - Die Inflation hat viel Elend gerade über ältere Leute gebracht, die vom Ersparten leben wollten. In dieser Zeit verlor die Kirche ihr gesamtes Barvermögen und alle Stiftungen. Kein Wunder, daß das kirchliche Leben weiteren ernsten Schaden nahm, "obwohl es im Vergleich zu den anderen Gemeinden . . . noch gut zu nennen ist". Besonders hervorgehoben wird der Kindergottesdienst. Etwa 400 Kinder nahmen daran teil. Aber durch die Arbeitslosigkeit und die Armut der meisten Gemeindeglieder ist die Kirche in schwere finanzielle Bedrängnis geraten.
Ein ganzes Bündel Inflationsgeld fügte Pfarrer Niedner der Kapsel bei. Seine Urkunde endet mit dem Satz: "Gott helfe uns aus dieser Not." Beide Urkunden, die alten Zeitungen sowie die Münzen werden gemeinsam mit Dokumenten unserer Zeit wieder in den Turmknauf zurückgelegt, und hoffentlich einer späteren Generation einen kleinen Einblick in ein Jahrhundert Gaußiger Kirchengeschichte geben.


URKUNDE AUS DEM KIRCHTURMKNOPF



Heute am 15. Mai 1931 wurde der Turmknopf und die Wetterfahne wieder auf die Kirchturmspitze aufgesetzt, nachdem dieselben repariert und neu vergoldet worden sind. Diese Arbeiten wurden vom Turmdeckermeister Winter aus Schirgiswalde ausgeführt. Die Reparatur mußte aus folgendem Vorfall stattfinden, Söhne des Graf Schall-Riaucour, Gutsherrschaft zu Gaußig, hatten im jugendlichen Übermut den Turmknopf unserer Kirche als Schießscheibe benutzt und dabei den Turmknopf durch 12 Ein- und Durchschießlöcher beschädigt. Herr Graf Adam Schall-Riaucour erklärte sich bereit, den verursachten Schaden auf seine Kosten herstellen zu lassen, von einer Strafanzeige ist in diesem Falle abgesehen worden.
Da die Wetterfahne durch Witterungseinfluß reparaturbedürftig geworden war, mußte dieselbe auf Kosten der Kirchgemeinde wieder hergestellt werden.
Unterzeichneter bin seit dem Jahre 1912 Kirchenvorstandsmitglied und Kirchrechnungsführer, seit einer Reihe von Jahren stellvertr. Vorsitzender des Kirchenvorstandes.

Ernst Hermann Kotte


Pfr. Gerd Frey